Allheilmittel agil? Warum klassisches Projektmanagement nicht ausgedient hat

Schnelle Nutzung, kontinuierliche Optimierung: Das verspricht agiles Projektmanagement. Doch passt die Methode für alle Anwendungsbereiche? Isabel Münnig zeigt, wo das agile Vorgehen an Grenzen stößt und unter welchen Bedingungen die klassische Wasserfall-Methode eine gute Ergänzung sein kann.

Agiles Projektmanagement ist in Digitalisierungsprojekten nach wie vor angesagt. Kein Wunder: Unsere Welt wird immer komplexer, und Unternehmen müssen schnell auf neue Anforderungen reagieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wenn so viel Schnelligkeit und Flexibilität gefragt sind, scheint das Projektmanagement nach der klassischen Methode unpassend oder gar veraltet. Schließlich haftet ihr der Ruf an, zwar gut durchgeplant, dadurch aber leider oft starr und langwierig zu sein. Von Anfang an festgelegte Ziele und Zeitpläne verstellen eventuell sogar den Blick auf mögliche Optimierungen. So wird im schlimmsten Fall an den Anwender:innen und strategischen Zielen vorbeigearbeitet. Bei agilen Methoden wird dagegen der Nutzen der einzelnen Zwischenergebnisse regelmäßig hinterfragt und das weitere Vorgehen entsprechend angepasst. Der Trend geht daher klar in die Richtung agil. Aber funktioniert das bei jedem Projekt?

Beispiel Carve-out: Wenn agiles Projektmanagement an Grenzen stößt

Stellen wir uns ein großes Handelsunternehmen vor, das sich aus wirtschaftlichen Gründen für ein Carve-out entscheidet, bei dem ein Unternehmensbereich als neue, unabhängige Gesellschaft ausgegliedert wird. Dafür muss ein Teil des Unternehmens nicht nur organisatorisch abgespalten werden, auch die IT-Landschaft verändert sich. Das neue Unternehmen baut eine eigene IT-Infrastruktur auf, wobei zahlreiche Daten z. B. zu Kunden, Mitarbeiter:innen und Vorgängen aus dem Mutterkonzern mitgenommen und migriert werden. All das soll so schnell wie möglich gehen, damit das neue Unternehmen seine Geschäftstätigkeiten wie geplant ausführen kann. Ein klarer Fall für agiles Projektmanagement – so scheint es auf den ersten Blick.

Schauen wir uns das Projektteam einmal genauer an: 60 interne Mitarbeiter:innen und 30 externe Consultants aus unterschiedlichen Beratungshäusern sind mit der Umsetzung betraut. Sie sitzen verteilt in Deutschland, am neuen Standort in Spanien, ein Teil der Externen befindet sich in den USA. Es gibt für die verschiedenen Themenbereiche des Projekts Working Groups, deren Heads sich alle zwei Wochen digital zum Sprint-Planning und Review-Meeting treffen, in ihren Working Groups halten sie tägliche Stand-ups. Alles nach dem agilen Prinzip. Doch nach wenigen Wochen stellt das Projektteam folgende Schwierigkeiten fest:

Vorgegebene Zeitplanung

Das geplante iterative Vorgehen bei der Systemeinführung und Migration lässt sich nicht mit dem vom Legal Department vorgegebenen Zeitplan für den Carve-out in Einklang bringen. Zum Stichtag müssen technische Umstellungen erfolgen, für weitere Iterationen bleibt keine Zeit.

Komplexe Organisationsstruktur

Die Entwicklung von Strategien, Konzepten und IT-Lösungen ist auf verschiedene Teams verteilt. Jedes Team hat viele Abhängigkeiten zum Ursprungsunternehmen und kann den anderen Teams erst nach erfolgter Abstimmung Ergebnisse bereitstellen, mit denen diese weiterarbeiten. Parallele Working Groups sind damit nur schwer realisierbar. Zusätzlich erschwert das Sprint Planning, welches die Heads der Working Groups außerhalb ihrer Teams durchführen, ein agiles Vorgehen innerhalb der Working Groups.

Compliance-bedingter Dokumentationsaufwand

Die Dokumentation von User Stories, Tasks und Abhängigkeiten nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Das für agile Projekte geltende Credo „funktionierende Software über umfassende Dokumentation“ wird durch die internen Compliance-Vorgaben umgekehrt und erfordert mehr Ressourcen als geplant.

Verteilte Kapazitäten

Fast alle Teammitglieder sind neben dem Projekt mit ihren bisherigen operativen Aufgaben zeitlich stark eingebunden. Die Zeit für gemeinsames Arbeiten am Projekt ist dadurch knapp.

Hybrides Projektmanagement: Wasserfall rahmt Agile

Unter den gegebenen Bedingungen – feste Zeitplanung, feste Strukturen, Dokumentationsvorgaben, gebundene Kapazitäten – wäre die Wasserfall-Methode eigentlich passender.

Für agiles Arbeiten fehlen zu diesem Zeitpunkt noch die nötigen Organisationsstrukturen. Das neue Unternehmen ist erst dabei, eine eigene Kultur zu entwickeln. Bis dahin würden festere Strukturen, wie sie klassische Projektmanagement-Methoden bieten, Sicherheit und Orientierung geben. Gleichzeitig besteht der Wunsch, die Vorteile eines agilen Ansatzes zu nutzen und die Projektlaufzeit so kurz wie möglich zu halten. Die Lösung dieses Dilemmas liegt in einem hybriden Ansatz, bei dem die Wasserfall-Methode eine stützende Klammer ums agile Arbeiten bildet:

  • Der langfristige Plan wird in konkreten, dem Carve-out zeitlich entsprechenden Sequenzen geplant.
  • Die Anforderungsformulierung und die Steuerung der einzelnen Phasen erfolgen nach dem Wasserfall-Prinzip.
  • Innerhalb der Phasen kann jede Working Group selbst entscheiden, wie sie arbeitet: nach klassischem Vorgehen oder agil. Pro Phase gibt es bei den agilen Teams mehrere Sprints. Die Phasen-Meilensteine werden von ihnen am Ende des letzten Sprints erreicht, genau wie bei den klassischen Groups am Ende der Phase.

Ein solcher hybrider Ansatz verbindet die Vorteile der agilen mit denen der klassischen Welt. Gerade bei einer neu gebildeten Organisation erhalten Projektteams so einen sicheren Rahmen mit transparenten Vorgaben. Gleichzeitig gibt es genug Freiraum für agiles Vorgehen in kleineren Teams. Für das Gesamtprojekt wäre dieses Vorgehen dagegen hinderlich. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es beim Projektmanagement ist, neben den technischen und unternehmerischen Zielen auch die individuelle Struktur und die Kultur einer Organisation zu berücksichtigen. Auch wenn agiles Vorgehen im Trend liegt und in vielen Fällen Vorteile bringt, ist es kein Selbstzweck, sondern soll die Umsetzung eines Projekts ideal unterstützen. Wo die Rahmenbedingungen dafür nicht ausgelegt sind, sind klassische Methoden oder wie in diesem Fall ein Methoden-Mix erfolgreicher. Denn am Ende zählen der Nutzen im Projekt und das Erreichen der gesetzten Ziele.

Welche Digitalisierungsprojekte planen Sie und welche Projektmanagement-Methoden eignen sich dafür am besten? Isabel Münnig und ihre Kolleg:innen beraten Sie gerne und helfen Ihnen bei der Konzeption und Umsetzung: Hier können Sie mit ihnen Kontakt aufnehmen.