Expert-Talk: „Effiziente Produktion allein ist kein Maßstab für Nachhaltigkeit!“
Nachhaltigkeit ist heute mehr als nur trendiges Nice-to-have: Sie wird von Politik, Finanzmärkten und Kunden eingefordert und ist ein entscheidendes Kriterium für die Wettbewerbsfähigkeit. Was das für produzierende Unternehmen bedeutet und wie sie ihre Produktion mit einer Daten- und KI-Strategie erfolgreich und nachhaltig ausrichten, diskutiert unser Executive Manager Dr. Andrej Fischer.
Andrej, du arbeitest mit zahlreichen produzierenden Unternehmen zusammen: Was bewegt die Branche derzeit am meisten?
Aktuell kommen gleich mehrere Herausforderungen zusammen: Zum einen haben sich die wirtschaftlichen Bedingungen verschärft. Viele Rohstoffe sind zurzeit knapp, die Preise dafür steigen. Lieferketten und Energieversorgung sind unsicherer geworden und der Absatz ist aufgrund der volatilen wirtschaftlichen Lage schwerer vorhersagbar. Allein das ist für viele produzierende Unternehmen eine enorme Herausforderung. Sie müssen Planung, Produktion und Lagerhaltung viel flexibler, effizienter und adaptiver gestalten als bisher. On Top kommen neue regulatorische Anforderungen und der damit zusammenhängende Druck der Finanzmärkte, was zusätzlichen Handlungsbedarf nach sich zieht.
Welche regulatorischen Neuerungen sind das und wie wirken sie sich auf die Finanzmärkte und die Unternehmen aus?
Die Regularien beziehen sich vor allem auf den Aspekt der Nachhaltigkeit und Social Responsibility. Da haben wir z. B. die Novelle des deutschen Klimaschutzgesetzes. Demnach soll Deutschland bis 2045 klimaneutral werden. Daneben schreibt auch das Klimaschutzgesetz der EU den Mitgliedsstaaten vor, ihren Treibhausgasausstoß zu senken. Konkret müssten wir in Deutschland 262 Megatonnen CO2 einsparen, um diese Ziele zu erreichen. Unternehmen werden dafür in die Pflicht genommen. Sie müssen ihre Emissionswerte senken und Nachhaltigkeitsinformationen offenlegen. Das hat bisher eher die großen Konzerne betroffen, jetzt ist auch der Mittelstand an der Reihe, wie man u. a. am Lieferkettengesetz sehen kann: Dieses Gesetz verpflichtet die Unternehmen „menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken“ im eigenen Betrieb und bei ihren Zulieferern zu ermitteln und im Zweifel Ausgleichsmaßnahmen vorzunehmen. Jetzt gilt dies noch für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten, ab 2024 auch für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeiter:innen. Mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSDR) der EU gilt zudem ab dem Geschäftsjahr 2024 auch für Unternehmen ab 250 Mitarbeiter:innen oder einem Umsatz ab 40 Mio. EUR eine deutlich umfangreichere Berichtspflicht zu Nachhaltigkeitsaspekten.
Die Dokumentation und das Umsetzen der regulatorischen Anforderungen bringen einen erhöhten Aufwand mit sich, den viele Unternehmen gerne effizient reduzieren würden. Zudem ist Nachhaltigkeit auch auf den Finanzmärkten im Trend: Wer die Kriterien in den Bereichen Environmental, Social und Corporate Governance (ESG) nicht erfüllt, findet heute nur schwer Investoren und erhält auch seltener Kredite. All das heißt unterm Strich: Nachhaltigkeit ist heute kein Nice-to-have, mit dem sich lediglich das Image verbessern lässt. Das Thema hat längst strategische Relevanz und gehört damit auf die Agenda der Unternehmensführung.
Mit der richtigen Strategie gehen Unternehmens- und Nachhaltigkeitsziele Hand in Hand.
Was kann die Geschäftsführung konkret tun?
Studien wie die des Digitalverbands Bitkom zeigen, dass wir in Deutschland durch gezielte Digitalisierungsmaßnahmen in den nächsten zehn Jahren bis zu 152 Megatonnen CO2 einsparen könnten. Die industrielle Fertigung birgt dabei das größte Potenzial. Hier geht es jetzt vor allem darum, die Digitalisierungsstrategie mit der Unternehmensstrategie zu verzahnen und konsequent durchzusetzen. Denn mit dem richtigen strategischen Ansatz können die Unternehmensziele mit den Nachhaltigkeitszielen Hand in Hand gehen. Die Effizienz- und Nachhaltigkeits-KPIs, die im Zuge der erweiterten Berichtspflichten etabliert werden müssen, sind ja auch für Digitalisierungsprojekte wichtige Gradmesser des Erfolgs.
Genau da kann die Geschäftsführung ansetzen: Einerseits Mandat und Investitionen für die Digitalisierung mit Mut und Überzeugung bereitstellen und andererseits durch entsprechende Governance-Strukturen den Rahmen für eine messbar erfolgreiche Umsetzung schaffen.
Trotz dieser offensichtlichen Notwendigkeit sind viele Unternehmen in puncto Strategie und Umsetzung noch nicht so weit. Woran liegt das?
Ein Grund dafür ist, dass der Return on Investment nicht deutlich genug sichtbar war. Das hat sich jetzt geändert, die Motivation ist deutlich gestiegen. Außerdem finden wir aktuell gerade im Mittelstand viele Unternehmen, die erst vor kurzem damit begonnen haben, sich digital zu transformieren, Prozesse zu automatisieren und bei all dem Daten zu nutzen. Eine ganzheitliche Daten- und KI-Strategie gibt es allerdings erst bei wenigen. Das muss aber kein Nachteil sein: Wer hier relativ frisch anfängt, hat die Chance, das Thema von Anfang an durch messbare Effizienzverbesserung auf mehr Nachhaltigkeit auszurichten und so Synergieeffekte in der Umsetzung zu nutzen. Wenn mein Team und ich in ein Unternehmen kommen, schauen wir uns daher zuerst an, wie es mit der Transparenz, der Nutzung und der Qualität der vorhandenen Daten aussieht. Wer seine Daten beherrscht und richtig nutzt, kann viele Maßnahmen pragmatisch und schnell angehen, die auf die Unternehmensziele und das Thema Nachhaltigkeit einzahlen.
Nachhaltige Produktion gelingt nur, wenn sich Unternehmen auch digital nachhaltig transformieren.
Welche Maßnahmen sind das konkret?
Zunächst einmal lässt sich aus Daten zu den wichtigsten Unternehmensprozessen der CO2-Fußabdruck eines Unternehmens ableiten. Mittlerweile gibt es viele Plattformen, die diese Umrechnung anbieten. Dieses Reporting ist Grundlage für das gesetzlich geforderte Berichtswesen, aber auch dafür, den Impact aller weiteren Maßnahmen im Verlauf zu messen. Diese Maßnahmen lassen sich entlang des gesamten Produktionszyklus umsetzen: Schon bei der Planung von Absatz, Produktionsabläufen, Materialbedarf, Lagerkapazität, Lieferterminen und damit verbundener Liquidität helfen KI-Algorithmen beim Erstellen von zuverlässigen Prognosen und optimierten Plänen. Somit können Überproduktion, Materialüberschuss und Rüstzeiten schon in der Planung reduziert werden. In der Produktion selbst kann Ausschuss schneller behoben, Mehraufwand reduziert und einem eventuellen Maschinenausfall vorgebeugt werden.
Bisher verrichten solche Aufgaben Mitarbeiter:innen, die über langjährige Erfahrung verfügen und all das sehr gut einschätzen können. Sie sind aber nicht 24/7 im Einsatz und werden aufgrund der eben beschriebenen immer komplexeren Marktsituation mit immer mehr Variablen und Regularien konfrontiert, die es abzuwägen gilt. KI-basierte Assistenzsysteme und automatisierte Prozesse entlasten diese Mitarbeiter:innen, verbessern die Qualität in Planung und Produktion und geben wertvolle Unterstützung bei deren nachhaltiger Ausrichtung. Es gibt noch viele weitere Stellschrauben, an denen Unternehmen mithilfe von Daten und KI drehen und so für eine nachhaltige Produktion und nachhaltige Digitalisierung sorgen können.
Neben der Produktion kann auch die Digitalisierung selbst nachhaltig sein? Was ist damit gemeint?
Dass Digitalisierung für mehr Nachhaltigkeit eingesetzt wird, ist eine großartige Sache! Damit diese Initiativen aber auch ihre volle Wirkung entfalten können, braucht es eine wirklich langfristig und dauerhaft ausgerichtete digitale Transformation. Und das gelingt nur, wenn die Menschen im Unternehmen diesen Weg mitgehen. Aus unserer Erfahrung gelingt das am besten, wenn man die Mitarbeiter:innen bei allen Digitalisierungsvorhaben von Anfang an eng mit einbindet und digitale Lösungen wie etwa Assistenzsysteme für die Unternehmensplanung und -steuerung wirklich gemeinsam entwickelt. Auch langfristig müssen sicher nicht alle Mitarbeiter:innen programmieren lernen oder zu Datenanalysten werden. Idealerweise ist es aber ein Teil der Unternehmenskultur, den Blick für die Relevanz und das Potenzial von Daten zu haben und bezüglich Nachhaltigkeit weiter optimieren zu wollen.
Letztendlich ist aber auch die Effizienzsteigerung irgendwann am Ende angelangt. Deswegen beschäftigen wir uns bei Comma Soft auch jetzt schon ganzheitlich mit den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft und untersuchen, wie Digitalisierung, Daten und KI zu deren Erfolg beitragen können. Denn Effizienz ist als Maßstab für Nachhaltigkeit langfristig nicht ausreichend.
Haben Sie Fragen, wie Sie Ihre Produktion noch nahhaltiger ausrichten und die digitale Transformation in Ihrem Unternehmen nachhaltig angehen? Dr. Andrej Fischer und sein Team tauschen sich gerne mit Ihnen über Ihre Anforderungen und mögliche Lösungen aus: Nehmen Sie gerne Kontakt auf.