„Allwissend und allmächtig?“ – Interview mit Thea Dorn zu Chancen und Grenzen von KI
„Wir sind Gott – und dann?“, fragte Thea Dorn in ihrem Vortrag auf den Petersberger Gesprächen 2023. Im anschließenden Interview beantwortete sie die Fragen von Journalist Ralph Hötte über den Intelligenzbegriff, das Bewusstsein und die Grenzen von Funktionalität im Kontext von Künstlicher Intelligenz.
Bevor sie ihr „Gedankenfeuerwerk“ zündete, wie es Prof. Peitgen in der späteren Podiumsdiskussion nannte, gab die Vortragende zu, dass sie als Philosophin „vom ganz anderen Planeten“ kommt. Dementsprechend sehe sie in ihrem Vortrag die Aufgabe, sich kritisch mit dem „Homo technologicus“ auseinanderzusetzen. Dieser „ist zuversichtlich, dass er immer raffiniertere Lösungen technologischer Art findet, und er war und ist darin immens erfolgreich“. Weiter ging Dorn in ihren Ausführungen auf das mathematisch-naturwissenschaftliche Weltbild und das aus Wissenschaft, Technologie und Industrie bestehende, sehr erfolgreiche „Dreieck der Moderne“ ein.
Die Philosophin stellte die These auf, „dass dieses religiöse Weltbild in der Methode der Problemlösung unserem rationalen Weltbild natürlich radikal entgegengesetzt ist, dass es aber in der Frage, welches Bedürfnis, welche Ängste, welche Hoffnungen hatte der Mensch, natürlich auf dieselbe Stelle gesetzt wird, die heute unsere naturwissenschaftlich-technologisch-industrielle Problemlösungsmaschinerie einnimmt.“
Das Wichtigste aber sei, so die Philosophin weiter, „dass wir einen Schritt zurücktreten und grundsätzlich fragen: Wie wollen wir als Menschen leben? … Warum sind wir in diesem Universum?“ Etc.
Neben der naturwissenschaftlichen Revolution des 18. Jahrhunderts, die den Menschen aus dem Zentrum der Welt an den Rand rückte, entstand als zweite Revolution die der Aufklärung.
Da die Verankerung im religiösen Weltbild plötzlich bröckelte, brauchte der Mensch „auf einmal eine neue Erzählung, wie die Welt organisiert ist.“ Um der libertären Beliebigkeit im Handeln vorzubeugen, „schreiben (die Aufklärer) den Menschen … nur dann mit dem großen ’M’, wenn er autonomiefähig ist. Autonomie heißt aber nicht, ich tue, was ich will, sondern Autonomie heißt, dass ich mir selber Sätze geben kann, nach denen ich mein Handeln orientieren will.“
Mit Blick auf die technologische Entwicklung auch in den Bio- und Neurowissenschaften, glaubt die Referentin daran, „dass wir gerade dabei sind, dieses Weltbild zu verabschieden“ und es durch ein neues Narrativ abzulösen, in dem das Hirn „als neuronales Netz“ betrachtet‘ wird.
Wie dies geschieht, hänge letztlich von der berechtigten Frage ab: „Wie sehen wir den Menschen, wie schauen wir auf uns selbst, wenn wir die Funktionsweise einer künstlichen Intelligenz … zum Ideal, zum neuen Gott erheben?“
Thea Dorn schließt ihren Vortrag mit der Frage: „Liegt es tatsächlich in der Logik dieser Technologie, dass wir den Menschen mit dem großen ’M’, der also über Autonomie, Urteilskraft usw. verfügt, dass wir das aufgeben müssen, weil wir erkennen müssen, wir sind defizitäre, neuronale Netze, die leider noch ein paar Probleme haben … – oder wollen wir den Weg, den der Westen vor gut 200 Jahren in Form der Aufklärung beschritten hat, weitergehen?“
Thea Dorn ist Schriftstellerin und Publizistin. Sie studierte Philosophie und Theaterwissenschaft in Frankfurt am Main, Wien und Berlin. Von 1995 bis 2000 arbeitete sie als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin. Von 2003 bis 2014 moderierte sie verschiedene Büchersendungen für den SWR. Seit 2017 ist sie festes Mitglied beim „Literarischen Quartett“ des ZDF, seit 2020 ist sie die Gastgeberin dieses traditionsreichsten Literaturformats im deutschen Fernsehen. Thea Dorn hat zahlreiche Romane und Essaybände veröffentlicht, die regelmäßig auf der SPIEGEL-Bestsellerliste zu finden sind, u. a. „Die deutsche Seele“ (gemeinsam mit R. Wagner) und zuletzt „Trost. Briefe an Max“. In ihrem Roman „Die Unglückseligen“ trifft eine Molekularbiologin auf der Suche nach dem Schlüssel zur Unsterblichkeit auf einen Physiker aus der Romantik, der vergeblich zu sterben versucht. Zudem ist Thea Dorn als Autorin für die Wochenzeitung DIE ZEIT tätig. In aktuellen gesellschaftlichen Debatten ist sie eine der pointiertesten Stimmen.
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