Expert-Talk: „In fragilen Zeiten kommen produzierende Unternehmen nicht um Daten und KI herum“

Nachhaltigkeit, neue Reporting-Pflichten, fragile Lieferketten: Produzierende Unternehmen stehen aktuell vor immer neuen Herausforderungen. Wie Sie ihre Daten und (Generative) KI nutzen können, um sich schnell und gleichzeitig nachhaltig wettbewerbsfähig aufzustellen, erläutert unser Industrial IoT-Experte Dr. Oliver Beyer im Interview.

Oliver, du bist seit Jahren in der produzierenden Industrie aktiv, und als Mitglied verschiedener Fachausschüsse zu den Themen KI- und Industrie 4.0stehst du im engen Austausch mit der Branche. Welche Fragen beschäftigen die Unternehmen derzeit?

Momentan sind vor allem die Stärkung der Resilienz von Lieferketten, die Energieeffizienz und die Reduktion von CO2-Emissionen für eine nachhaltigere Produktion omnipräsente Themen. Als Treiber sind hier die aktuellen geopolitischen Auseinandersetzungen, bundesweite Regularien wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und auch die CSRD-Richtlinie der EU zu nennen. Für die Unternehmen bedeutet dies, dass sie Materialflüsse über die gesamte Lieferkette digital abbilden und verfügbar machen müssen, die eigene Produktion durch Prozessoptimierung und den Einsatz erneuerbarer Energien energetisch optimieren und ESG-relevante Daten wie den „Carbon Footprint“ bestimmen müssen. Die Herausforderung in der Umsetzung besteht dabei nicht nur in der Erschließung der relevanten Daten, sondern auch in deren unternehmensübergreifender Bereitstellung. So erfordert ein Austausch offene, standardisierte und vertrauenswürdige Datenökosysteme wie Catena-X und Datenformate wie die Verwaltungsschale der Industrial Digital Twin Association (IDTA), um hier die geeignete Grundlage für datengestützte und resiliente Wertschöpfungsketten zu schaffen.

Für den immer relevanter werdenden Einsatz von KI steht gerade produktionsnah die Forderung nach Transparenz sowie die menschenzentrierte Anwendung im Vordergrund. Hier gilt es, durch Methoden wie „ExplainableAI“ (XAI) Vertrauen zu schaffen und Ängste abzubauen. Auch die ubiquitäre Implementierung von KI-Lösungen z. B. durch Edge Computing im IoT-Kontext und die Operationalisierung per MLOps stellen vor allem mittelständische Unternehmen vor große Herausforderungen.

Begriffe wie IoT oder Industrie 4.0 sind mittlerweile gut  10 Jahre alt. Ist das Thema Digitalisierung und KI nicht längst ein alter Hut?

Nein. Sowohl für den nationalen Markt als auch im internationalen Wettbewerb mit den USA und China ist die Digitalisierung für deutsche und europäische Unternehmen fundamental, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Nur so können sie mit den vollständig digitalisierten und kostenoptimierten Produktionsprozessen der Mitbewerber mithalten. Hier herrscht bei den Unternehmen klarer Konsens: Digitalisierung und der Einsatz von KI sind längst nicht hinreichend umgesetzt und werden die Industrie in Zukunft nachhaltig verändern. Gerade in fragilen Zeiten und bei zunehmender Komplexität ist das verstärkte Setzen auf Daten und KI essenziell.

Im Detail geht es dabei einerseits um die daraus resultierenden Potenziale zur Steigerung der Produktionseffizienz, wie die Erhöhung der Overall Equipment Efficiency (OEE), und um die Kostenreduktion durch nachhaltigere und energieeffizientere Produktionsprozesse. Andererseits geht es um die Erschließung neuer digitaler Geschäftsmodelle, welche perspektivisch eine immer größere Rolle spielt. Hier zeichnet sich ein Trend zu kundenzentrischen digitalen Services ab, um Kunden bspw. mithilfe von Apps mehr Transparenz über Herstellungs- und Logistikprozesse, individuellere Produktkonfigurationen oder neue Dienstleistungen anbieten zu können. Das Ziel ist hierbei, die Geschäftsprozesse auf Kundenseite zu vereinfachen, neue Dienstleistungen zu etablieren und dadurch die Kundenbindung zu erhöhen.

Sowohl bei der Steigerung der Produktionseffizienz als auch bei der Erschließung neuer digitaler Geschäftsmodelle ist der Einsatz von KI sowie Generativer KI ein wichtiger Treiber und essenziell für viele der angestrebten Use Cases.

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Welche KI-Cases wollen Unternehmen konkret umsetzen und wie gehen sie dies an?

Von der Prognose von Bestellungen und Materialflüssen über die Optimierung von Produktionsparametern und die Liefer- & Absatzplanung bis hin zu Empfehlungssystemen für Bestellprozesse beim Kunden ist alles vertreten.

In der Umsetzung zeigen sich allerdings deutliche Unterschiede. Während einige Unternehmen bereits einige Prozesse entlang der Wertschöpfungskette digitalisiert und integriert haben, stehen andere Unternehmen noch am Anfang ihrer digitalen Reise. Manche sind sogar skeptisch, was den Einsatz von KI-Lösungen innerhalb ihrer Produktionsprozesse angeht. Nach ersten schnellen Proof-of-Concepts, die als Leuchtturmprojekte bspw. in der Produktion zur Maschinen- oder Prozessüberwachung umgesetzt werden, kommt oft eine erste Ernüchterung: Mit den punktuellen Cases lässt sich nicht so viel Effizienzsteigerung erreichen wie gewünscht.

Wie kann eine Alternative zu solchen punktuellen Cases aussehen?

Es empfiehlt sich, KI nachhaltig in die Geschäftsprozesse zu integrieren und sie bereichsübergreifend zu nutzen – Stichwort datengetriebene End-to-End-Prozesse. Damit KI entlang der gesamten Wertschöpfungskette in Wirkung gebracht wird, muss sie aber genügend und qualitativ hochwertige Daten bekommen. Dafür braucht es eine durchgehende Strategie zur Nutzung der eigenen Daten und – im Kontext der Lieferkettentransparenz – zur Einbeziehung von externen Daten.

Viele Unternehmen sind hier noch zögerlich, gerade wenn es dann um die Bereitstellung von produktionsnahen Daten geht. Nicht zuletzt durch ChatGPT und andere Generative KI-Lösungen ist das Thema Informationssicherheit wieder aktueller denn je. Wenn Kunden und Lieferanten in Prozesse einbezogen werden sollen, ist das z. B. unabdingbar. Die Befürchtung, dass dadurch wichtiges Know-how und Informationen zu Produktionsabläufen und Auslastungen auch Wettbewerbern zugänglich werden, ist groß. Hier schafft die bereits erwähnte Entwicklung vertrauenswürdiger Datenökosysteme wie Catena-X allerdings aktuell eine Perspektive.

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Wie unterstützen du und deine Kolleg:innen die Unternehmen dabei?

Wir helfen zum einen bei der Entwicklung der Datenstrategie, z. B. mithilfe von Datenlandkarten. Das schafft bereits sehr viel Sicherheit und vermeidet, dass sich die Digitalisierung für Unternehmen als unkalkulierbarer Invest gestaltet. Statt vereinzelte Digitalisierungsprojekte „nebenbei“ mit oftmals semi-optimalem Ergebnis umzusetzen, hilft eine Datenstrategie, von Anfang an den Überblick zu behalten und genügend Ressourcen einzuplanen. Das umfasst nicht nur das Budget für neue Technologien, sondern auch IT- und Data Science-Expertise, um Aufwände abzuschätzen und die erforderlichen Architekturen, Auswertungen und schließlich Cases umzusetzen. Speziell beim Thema Generative KI entwickeln wir mit unseren Kunden zudem individuelle Lösungen, die Datenschutz und Informationssicherheit gewährleisten. Wenn im Unternehmen die IT- und Data Science-Kapazitäten für all das nicht ausreichen, unterstützen wir auch hier.

Neben den neuen Technologien darf man zudem nicht vergessen, auch die Mitarbeiter:innen hinreichend mit einzubeziehen. Welche Unterstützung brauchen sie ganz konkret bei ihrer täglichen Arbeit? Hier unterstützen wir Unternehmen im Rahmen des Change Managements dabei, bei den Mitarbeiter:innen Vertrauen in neue Technologien aufzubauen, ein gemeinsames Basisverständnis zu entwickeln und dann gemeinsam Lösungen umzusetzen, die tatsächlich genutzt werden und Mehrwerte schaffen. Der zunehmende Fachkräftemangel in den Produktionsstätten unterstreicht zusätzlich, wie nötig es ist, Menschen durch shopfloor-nahe datengetriebene Assistenzsysteme zu unterstützen, z. B. bei der Maschinenbedienung und an Handarbeitsplätzen.

Eine solche strategische Vorgehensweise klingt langwierig. Gibt es auch eine Möglichkeit für Quick Wins?

Eine bewährte Vorgehensweise ist der duale Ansatz aus einer Datenstrategie einerseits und der pragmatischen Umsetzung von Use Cases mit geringem Aufwand und großem Effekt andererseits. Die Cases sollten aber eben nicht für sich allein stehen, sondern von Anfang an in eine holistische Strategie eingebettet werden. Diese Strategie kann je nach Digitalisierungsgrad des Unternehmens dann ganz unterschiedlich aussehen: Während bei manchen Unternehmen die Datenverfügbarkeit und das Aufbrechen von Datensilos die größte Herausforderung darstellt, ist es bei anderen die Automatisierung und Integration von Geschäftsprozessen, oder die datengetriebene Prognose von Bestellungen oder Lagerbeständen. Die konkreten Hebel sind meist sehr individuell und werden von uns gemeinsam mit den Unternehmen identifiziert. Entsprechend priorisieren wir auch gemeinsam, welche Cases zeitnah und mit überschaubarem Aufwand umgesetzt werden können und welche zu einem späteren Zeitpunkt geeigneter sind. Das ergibt dann in Summe eine gute Mischung aus pragmatischen Quick Wins und nachhaltigen Lösungen, mit denen sich die Unternehmen jetzt und in Zukunft wettbewerbsfähig aufstellen können.

Vor welchen Herausforderungen stehen Sie derzeit in Ihrem Unternehmen? Tauschen Sie sich dazu gerne mit Dr. Oliver Beyer und seinen Kolleg:innen aus: Hier können Sie Kontakt mit ihnen aufnehmen.